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Writer's pictureToni Herms

“Positive Emotionen können einen Löscheffekt haben”



Katharina Ehrhardt ist zertifizierte Trainerin und Coach für Positive

Psychologie und bringt diese Themen in die Unternehmenswelt.

Außerdem leitet die Münchnerin Ausbildungskurse für die Deutsche

Gesellschaft für PP (DGPP) und lehrt als Dozentin im ersten

Masterstudiengang Positive Psychologie an der DHGS - der Deutschen

Hochschule für Gesundheit und Sport. Wir haben mit der 45-Jährigen über

Optimismus, die Auswirkungen auf Körper und Geist gesprochen und

welche Rolle dabei unsere Genetik spielt. Ein Interview, das uns

optimistisch stimmt.


Was genau versteht man eigentlich unter “Positive Psychologie”?

“Positive Psychologie ist die wissenschaftliche Betrachtung dessen, was ein gelingendes Leben ausmacht. Es geht nicht um positives Denken. Es geht um einen ressourcenorientierten Blick auf z.B. mich und meine Werte, meine Stärken, meinen Lebenssinn. Darum, wie uns positive Emotionen stärker machen. Es geht auch um Glück. Kurz: Um ein gutes und gelingendes Leben eben. Positive Psychologie ist eine sehr junge Wissenschaft, die es in dieser Form erst rund zwanzig Jahre gibt.” 


Wie kam es dazu?

“Die Psychologie hat sich ein ganzes Jahrhundert lang nur mit Krankheiten beschäftigt. Einer der Vorreiter der Positiven Psychologie ist Martin Seligman. Er ist gleichzeitig einer der bekanntesten Depressionsforscher der USA. Seligman hat irgendwann einmal gesagt, dass es ihm nach intensiver Therapie manchmal gelang, die Ängste oder Krankheiten seiner Patienten zu behandeln und zu lindern. Aber was übrig geblieben ist, war nie ein glücklicher Patient. Sondern im besten Fall ein leerer Patient. Und dafür sei er nicht Psychologe geworden. Die Kehrseite von nicht-psychisch krank ist eben nicht automatisch glücklich. Und das gilt es zu erforschen.” 

 

Wie definiert die Wissenschaft ein gelungenes Leben?

“Darauf gibt es drei große Antworten. Das eine ist die Antwort nach dem hedonistischen Glück. Das ist die Kategorie “flüchtiges Glück”: Gutes Essen, schönes Wetter zum Beispiel. Ein Glück also, das sich durchaus auch abnutzt. Das nennen wir auch “Wohlfühl-Glück”, bestehend aus schönen Momenten. Die andere Schiene, die Aristoteles sehr stark beeinflusst hat: Das sogenannte “eudaimonische Glück” oder auch das “Werte-Glück”. Da geht es mehr um die Frage, wie werde ich zur besten Version meiner selbst? Wie kann ich meine Talente wirklich in die Welt tragen? Hier dreht sich die Fragestellung weniger um Wohlbefinden, sondern gute Gefühle werden als Folge eines „guten Lebens“ gesehen, nicht als primäre Zielsetzung. Hier geht es also mehr um meine Talente, meine Stärken, wie bringe ich mich selbst zum Ausdruck. Und die dritte Säule, das ist ein noch recht neues Gebiet. Das wird “psychologische Vielfalt” genannt.” 

 

Psychologische Vielfalt?  Was genau kann man sich darunter vorstellen?

“Da geht es nicht darum, dass ich aus allem, was ich erlebe, das maximale Wohlbefinden erziele. Sondern, wie der Name schon sagt, im Zentrum steht die Vielfalt. Dass man zum Beispiel sagen kann: Ich habe einmal diese oder jene Erfahrung gemacht im Leben. Das ist das dritte große Konzept. Unter diesen drei Säulen finden sich dann verschiedene Modelle. Das Bekannteste ist von Martin Seligman, das PERMA-Modell.” 

 

Können Sie das PERMA-Modell kurz beschreiben?

“PERMA ist ein Akronym. Das steht für fünf Säulen, die laut seiner Forschung zu einem guten Leben beitragen. “P” steht dabei für “Positive Emotionen''. Ich habe mehr positive Emotionen als schlechte. Und ich habe Methoden gefunden, mit den unangenehmen Gefühlen gut umzugehen. Man konnte im Labor zeigen, dass Positive Emotionen einen Löscheffekt haben und – bis zu einem bestimmten Grad - als Gegenspieler zu Stress und anderen herausfordernden Gefühlen agieren können.   “E” steht für “Engagement”. Kenne ich meine Stärken, kann ich sie privat wie beruflich leben? “R” hat sich als eine der wichtigsten Säulen herausgestellt: Relationships. Habe ich gute und tragfähige Beziehungen? Nicht unbedingt viele! Aber gibt es diese zwei Leute, die ich nachts um drei Uhr anrufen kann und die dann für mich da sind, wenn es mir nicht gut geht? “M” steht für Meaning. Also finde ich einen Sinn in dem, was ich tue. Das ist etwas sehr Individuelles, aber sehe ich den Sinn darin, was ich mache? Die letzte Säule “A” steht für Accomplishment. Das ist die umstrittenste Säule. Da geht es darum, dass ich mir gute Ziele setze und diese auch erreiche. Da geht es nicht um Leistungserfolg, ich bin besser als du. Aber darum, dass meine Arbeit auch etwas fruchtet. Das ist eines der bekanntesten Modelle für Glück. Das würden wir unter dem “Eudaimonisches Glück” einsortieren. Wo es nicht nur um Wohlbefinden geht, sondern auch um diese Entfaltung als Mensch: Ich kenne meinen Sinn, ich kenne meine Stärken.”

 

Der Begriff ‘Werte’ wird heute oft verwendet. Was aber sind Werte genau?

“Es gibt ein schönes Modell, das Berliner Entwicklungsmodell, das in dem Bild eines Baumes alles sehr schön zusammenfasst. In dem werden die Werte als Wurzeln beschrieben, der Stamm sind meine Stärken, die einzelnen Zweige die Lebensbereiche und welche Früchte diese gerade tragen. Und mein Lebenssinn wird als Sonne dargestellt, etwas, das ich vielleicht nie erreiche, nachdem ich mich und mein Handeln aber ausrichte. Werte sind also das, was mir Halt und Stabilität gibt, das, wofür ich etwas tue. Was treibt mich wirklich an? Grundsätzlich ist es auch gerade in Teams unglaublich hilfreich, die Werte von sich und auch seinen Kollegen zu kennen. Ein Großteil aller Konflikte sind Wertekonflikte. Werte sind auch ein wichtiges Thema bei der Frage: Was will ich beruflich machen?” 

 

Wie arbeiten Sie im Coaching mit Ihren Klienten?

“In Kurzversion: Ressourcenorientiert. Ich arbeite oft mit Leuten zusammen, die trotz tollem Job oder guter Beziehung unzufrieden sind. Am Anfang schauen wir uns dann gemeinsam die Stärken, Werte und das ideale Umfeld  an. Die Krux dabei ist nämlich: Unsere Stärken sind oft so selbstverständlich für uns, dass wir uns dessen gar nicht bewusst sind. Wir arbeiten also an vielen Puzzleteilen, die wir dann step-by-step zusammenfügen.”

 

Warum ist ein positives Mindset so wichtig?

“Es gibt viele Studien, die bestätigen, was ein optimistisches Mindset mit uns macht. Insbesondere positive Emotionen. Die machen uns kreativer, wacher und kooperativer. Eine der bekanntesten Studien aus der Positiven Psychologie ist die sogenannte Nonnenstudie. Drei Forscher sind im Jahr 2000 auf Motivationsschreiben von Nonnen gestoßen, die teilweise 60 Jahre alt waren. Diese Schreiben haben die damals jungen Frauen zum Eintritt ins Kloster verfasst. Diese Briefe wurden analysiert, man hat nach Schlagwörtern gesucht und eine Wortanalyse gemacht. Man hat die Nonnen in zwei Kategorien unterteilt: Diejenigen, die ein positives Mindset hatten, in der Tätigkeit als Nonne Sinnhaftigkeit und Erfüllung gesehen haben. Versus diejenigen, die negativ gestimmt waren, die wegen Trennungen oder Enttäuschungen ins Kloster gegangen sind.”

 

Und was waren die Ergebnisse?

“Insgesamt waren es über 600 Nonnen, die untersucht wurden. Die Nonnen waren eine sehr homogene Gruppe und somit ein Geschenk für die Wissenschaft: Alle waren nicht verheiratet, hatten keine Kinder, hatten eine vergleichbare wirtschaftliche Situation. Und das Ergebnis der Studie war: Die Nonnen, die optimistisch und positiv gestimmt waren, sind wesentlich älter geworden. Es besteht also ein Zusammenhang zur Lebenserwartung und positivem Mindset. Das ist die bekannteste Studie.” 

 

Also gibt es auch andere Studien? Worin unterscheiden die sich?

“Wir haben natürlich auch neuere Studien aus Kliniken, die dasselbe belegen. Das Immunsystem wird verbessert, man hat einen verbesserten Heilungseffekt festgestellt und generell bessere Heilungschancen, Einfluss auf die Lebenserwartung. Wir haben also einen Effekt auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene festgestellt.”

 

Wie kann ich mir helfen, wenn ich einfach pessimistisch bin?

“Es gibt tatsächlich Menschen, denen wurde Optimismus in die Wiege gelegt. Das wissen wir. Auch wenn es eine unpopuläre Aussage ist: Genetik hat auf das Glücksempfinden und auf die Lebenszufriedenheit einen deutlich höheren Einfluss, als wir das vielleicht gerne hätten. Ältere Studien gehen von 50 Prozent aus, neue von circa 30 Prozent. Genetik hat einen Impact auf unser Glücksempfinden. Dennoch – oder gerade deswegen - lohnt es sich, Methoden zu  verinnerlichen, die Optimismus fördern. Einen großen Teil können wir nämlich beeinflussen.”

 

Können Sie diese Methoden etwas erklären?

“Da gibt es verschiedene Interventionen. Eine Idee, um aus einer starken Fokussierung auf Negatives (Negativity Bias) herauszukommen: Three good things:  Das bedeutet: Sich einfach abends hinzusetzen und  aufzuschreiben, was die schönen Momente des Tag waren.  Das können auch ganz kleine Dinge sein. Und diese schönen Emotionen nochmal bewusst nachspüren, denn das verändert dann auch neuronal im Gehirn etwas. Wenn ich das ein paar Wochen regelmäßig tue, dann passiert etwas ganz Spannendes: Dann fange ich tagsüber schon an zu schauen, was waren heute schöne Momente. Ich fange also an, es währenddessen schon zu bemerken. Und das ist ein zusätzlicher Effekt: Mein Fokus, das, worauf ich achte, verändert sich. Und das tut gut.” 

 

Vielen Dank für das Interview!



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